Raika Lana

Gedanken zu Jugendkultur, Sicherheitsfetischismus und selbsternannten Sicherheitsexperten

by Radio Sonnenschein

Thomas_Kobler Ein Gastbeitrag von Thomas Kobler aus Meran  

Mehr denn je merkt man in diesen Tagen, dass die Gemeinderatswahlen vor der Tür stehen. Irgendwelche selbsternannten Sicherheitsexperten, deren Namen man noch nie gehört hat, melden sich zu Wort und fordern mehr Polizei, mehr Kameras und generell mehr Kontrolle in der Stadt; Im Bild: Thomas Kobler

Sie schreiben Leserbriefe oder verschicken Pressemitteilungen, die vom Tagblatt der Südtiroler natürlich bereitwillig gedruckt werden. Als wenn es nicht schon genug wäre, dass sich die Meraner Stadtpolizei öffentlichkeitswirksam damit brüstet bei der Wandelhalle aufgrund der installierten Kameras eine Handvoll jugendlicher Kiffer erwischt zu haben, kriechen jetzt auch noch all jene aus ihren Löchern, die von Jugendkultur soviel verstehen, wie andere von Quantenphysik und gar eine nächtliche Schließung der Winterpromenade (sic!) anregen. Gleichzeitig wird von politischer Seite darauf hingewiesen, dass in Meran wieder der Jugendbeirat gewählt wird, damit deren Anliegen an die politischen Entscheidungsträger weitergereicht werden können.

Dabei kann man ganz leicht konstatieren, dass dieses Gremium in der Vergangeneheit nichts auf den Weg bringen konnte, was auch nur eine Randnotiz wert gewesen wäre. Und das alles aus einem simplen Grund: Weil den sogenannten Volksvertretern in der Gemeinde Jugendkultur schlichtweg egal ist, weil sie sich nie für die Anliegen, Wünsche und Probleme der Heranwachsenden interessiert haben. Wichtige kulturelle Initiativen wie das Emergency-Festival werden seit jeher behandelt, als wären sie es nicht wert gehört oder beachtet zu werden, der ost west club im Steinachviertel wurde monatelang mit Kontrollen und Razzien drangsaliert und stand zeitweise kurz vor der Schließung, weil die Interessen einer bestimmten Minderheit von Anwohnern über den Mehrheitswillen vieler hunderter Mitglieder gestellt wurden. Erst als man an die beeindrucken Mitgliederzahlen und die vielen wichtigen kulturellen und gesellschaftsrelevanten Veranstaltungen nicht mehr ignorieren konnte und erkannt hat, dass der Meraner Kulturverein große Wählersegmente wird bedienen und abdecken können, wurde der club plötztlich von allen Seiten umgarnt und für wichtig befunden.

Dass Meran seinen Jugendlichen nichts, aber auch wirklich nichts bieten kann, als ein einziges Nachtlokal im Zentrum spricht Bände. Dass Jugendliche sich in unmittelbarer Folge und aufgrund des extrem dürftigen Angebots in der Passerstadt sich ihre eigenen Freiräume schaffen und sich auf der Straße, in Parks oder sonst wo im öffentlichen Raum niederlassen ist eine zwangsläufige Folge. Dass Vandalenakte aller Art verübt werden, ist ebenso und unmittelbar damit zusammenhängend, auch wenn natürlich nicht gutzuheißen. Öffentlicher Raum, der bekanntlich von jedem Bürger und jeder Bürgerin zu jeder Zeit auch entsprechend genutzt werden darf und auch soll, wird in Meran aber immer wieder durch Verbote und verschiedene Maßnahmen unzugänglich gemacht.

Würde man es nur ein klein wenig wagen über den Tellerrand zu blicken und sich eine Scheibe von anderen Städten und Ländern abschneiden, würde unseren Entscheidungsträgern die ganze Schizophrenie und Sinnlosigkeit dieser Maßnahmen vor Augen geführt werden. Andernorts ist der öffentiche Raum, sind öffentliche Parks und Plätze die Triebfeder für eine offene, dynamische und mündige, kulturell empfindsame Gesellschaft. Dass es für diese simple Erkenntnis keinen Hochschulabschluss braucht, sollte eigentlich selbstredend sein, scheint aber bisher noch nicht in die Gemeindestuben bzw. bis nach Südtirol durchgedrungen zu sein.

Zwar kann Meran auf verschiedene Jugendzentren verweisen und zweifelsohne wird dort auch ein wichtiger Beitrag für junge Menschen geleistet, das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Gros der Jugendlichen keinerlei Interesse hat, sich in institutionalisierten Räumlichkeiten niederzulassen und sich pädagogisch leiten und führen zu lassen. Jugendliche und Heranwachsende brauchen schlichtweg Freiräume, die sie sich für sich beanspruchen und nutzen können, ohne Angst zu haben, dass sie sich jeden Abend der Kontrolle einer Polizeistreife unterziehen müssen, weil sie sich ihr Dosenbier auf einer Parkbank genehmigen.

Die Meraner Jugend ächzt seit Jahren, ja Jahrzehnten unter dem Diktat der Tourismustreibenden, die nichts anderes fordern, als dass es an 365 Tagen im Jahr zugeht wie in einem „bundesdeutschen Altersheim“. Norbert C. Kaser wusste schon vor 30 Jahren, dass es um die Jugendkultur in Meran nicht besonders gut bestellt ist, auch im Jahr 2015 hat sich an diesen Dingen leider nichts geändert, man macht einfach weiter wie bisher und versucht offensichtliche Probleme mit kurzfristigen Maßnahmen und Entscheidungen zu kaschieren, anstatt das Problem an der Wurzel zu packen und Räume und Gelegenheiten zu schaffen, die es jungen Menschen erlauben sich zu entfalten, auszuleben und zu verwirklichen. Die Posse um die Findung der neuen Räumlichkeiten für den ost west club steht dafür stellvertretend. Es gibt keinerlei politisches Interesse an den bestehenden Dingen etwas zu ändern, keinerlei Ansätze, die einen positiv in die Zukunft blicken lassen, eher das Gegenteil ist der Fall. Natürlich muss man der zukünftigen und neuen Stadtregierung zumindest zugestehen, dass sie es besser machen wird, als ihre noch amtierenden Vorgänger, denn die hat längst sämtliche Tiefpunkte erreicht und Chancen verwirkt, die Hoffnung bzw. die Aussichten, dass es zukünftig besser wird, halten sich aber aufgrund der in der Vergangenheit erfahrenen Ablehnung dennoch weiterhin in Grenzen, „man“ ist realistisch geworden in der Passerstadt, „man“ hat schon längst aufgehört zu träumen. Generell ist das Meraner Problem keines, das nur jene Menschen angeht, die sich in gerade in der Adoleszenz befinden, sondern betrifft auch all jene, die es satt haben, sich den Vorschreibungen einiger weniger Entscheidungsträger zu beugen. Meran will Kur- und Kulturstadt sein und brüstet sich gerne mit so bekannten Namen wie Kafka oder Zweig, tut aber nichts, um diesen großen, kulturellen Persönlichkeiten entsprechend auch Ehre zu erweisen, außer den Rahmen für (hoch)kulturelle Veranstaltungen zu ebnen, die aber nur einer bestimmten prominenten und finanziell potenten Oberschicht vorbehalten bleiben.

Deshalb sei all den sogenannten Sicherheitsfetischisten und selbsternannten Experten gesagt, dass ihr nichts anderes seid, als spießbürgerliche Heuchler, die zwar versuchen an der Oberfläche zu kratzen, aber mit ihren Maßnahmen auch in Zukunft nichts erreichen werden, das Gegenteil ist der Fall. Ihr seid unredlich, unaufrichtig, heuchlerisch und habt keine Ahnung, was Jugendliche und junge Erwachsene sich wirklich wünschen und erhoffen. Würdet ihr euch mal unter euer Volk wagen, würdet ihr mit großer Wahrscheinlichkeit keinen einzigen jungen Menschen finden, der euch sagen wird, dass das Angebot in Meran ausreichend ist oder, dass man damit zufrieden sein könnte. Ich spreche jede Woche mit den Menschen aus dieser Stadt und überall herrscht einehllig die Meinung, dass es so nicht weitergehen kann.

Frust, Resignation, Langeweile, Missmut und Desillusion sind prägend für eine Generation von Menschen in der Passerstadt. Aber das ist euch natürlich egal, ihr macht einfach weiter wie bisher, dient den Wirtschafts- und Tourismustreibenden, weil nur diese Leute für euch wichtig und relevant sind und über politischen Einfluss verfügen. Die Installierung von Jugendbeiräten ohne Befugnisse und Überwachungskameras, samt erlassenen Verboten ist nur die Manifestierung all dessen was stellvertretend für eure Art steht, sich mit dringlichsten, gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen. Und dafür verdient ihr euch nichts anderes als Ablehnung, Aversion und Unmut, die Geister die ihr selbst gerufen habt, werden euch immer wieder heimsuchen und euch in Gestalt von braindrain, Vandalismus, Gewalt und Alkoholexzessen auch immer wieder aufs Neue begegnen und irgendwann vor schier unlösbare Probleme stellen. Kriegt endlich euren Allerwertesten hoch und kümmert euch um jene Menschen, auf die ihr irgendwann angewiesen sein werdet, eröffnet ihnen Möglichkeiten der Teilhabe und Partizipation, aber auf eine ehrliche und ernstgemeinte Art und Weise anstatt mit öffentlichkeitswirksamen, kurzfristigen Maßnahmen an den faktischen Problemen herumzudoktern!

Thomas Kobler, Konzertveranstalter und Kulturarbeiter.

 

 

 

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