Weihnachten, Corona-Weihnachten steht vor der Tür. An sich ist es das Fest der Liebe, des Zusammenrückens, der kuscheligen Wärme und der gegenseitigen Herzlichkeit. In Krisenzeiten ist die Herzlichkeit noch wichtiger. Heuer muss sie anders gezeigt werden, und wir werden das bedauern, aber ertragen müssen.
Kluge Weihnachten sind diesmal solche in engstem Kreis. Möglichst wenig Kontakte auch im familiären Feld sind gefragt. Zuneigung und Liebe zeigt sich durch Abstand, durch kurze Treffen im Freien, durch Spaziergänge der Großfamilie in weiter Formation, durch Glückwünsche übers Telefon, über Whatsapp oder Viber. Das Fest der Kaufkraft wird womöglich zum Fest der Gutscheine, auch Schenken wird noch etwas virtueller als üblich.
Außer es gelingt das größte medizinische Unternehmen des Landes.
Wir machen uns gerade auf zu einem verzögerten, umwundenen, wirtschaftlich und von Schülereltern bescholtenen Lockdown, der möglichst kurz dauern soll. Dazu muss man ihn strategisch verwenden.
Das Gesundheitswesen hat es wegen der diffusen Infektionslage aufgegeben, Ansteckungsketten präzise zurückzuverfolgen. Das Land auf der Welt, das das seit November 2019 am schärfsten praktiziert, ist Taiwan. Taiwan wusste seit der Sars-Infektion von 2002, dass Nationalchina eine offizielle Warnung des Landes durch die WHO verhindern würde, damit die Insel Taiwan vor aller Welt als eine Provinz Chinas dastünde, die über die nationalchinesische Regierung informiert werden müsste.
Das war schon 2002 nicht geschehen und hatte damals zu 664 Erkrankungen und 26 Todesfällen in Taiwan geführt – ausgelöst durch das eng verwandte Covid I Virus. Man war also gewarnt und verfolgte seit einem Jahr streng alle Symptome Einreisender aus China und sonstwoher, entwickelte strengste Quarantänebedingungen, stützte sich auf eine sehr kooperative Bevölkerung und steht heute mit 589 an Covid II Erkrankten auf 26 Millionen Einwohner, mit nur 7 Todesfällen und ohne Neuerkrankung seit 20. Mai 2020 sehr sicher da. Ein solches Szenario können wir nur erträumen. Südtirol ist jetzt Experimentiertopf für ein Verbreitungsmuster, das jenem der Lombardei im März ähnelt.
Der zweite Südtiroler Lockdown ist deshalb verzweifelt zu nutzen. Es müssen quer durch die ganze Bevölkerung Infektionsgruppen festgestellt und rasch isoliert werden, damit sie das Virus nicht weiter streuen. Der größte Unsicherheitsfaktor dabei ist der Mensch mit seiner Entscheidungsfreiheit. Kleine Kinder und Mitarbeiter des Gesundheitswesens brauchen nicht getestet werden, bei den einen fällt es schwer und die andern sollten schon getestet sein.
Von der restlichen Bevölkerung müssten sich mindestens 2/3 freiwillig testen lassen, um ein brauchbares und hilfreiches Ergebnis zu erzielen, das den Lockdown verkürzen könnte. Der Statistiker Markus Falk tippt am 12.11.20 auf eine Ansteckung bei ein Prozent der Bevölkerung. Verschiedene Untersuchungen von Dörfern oder Einsatzkräften haben einen Immunschutz von 3-25 Prozent ergeben. Wie immer, er ist außer in Gröden niedrig, und wir wissen nicht, ob dauerhaft. Elektronische Warnung durch die Immuni App besteht bei 13 Prozent aller Italiener, keine Ahnung wie viele Südtiroler da dabei sind. Wir waren alle eher sorglos, im angenehmen Sommer, mit heimlichen oder öffentlichen Nahkontakten.
Jetzt sollen in kurzer Lockdown-Zeit ca 300.000 Südtiroler mit dem Antigenschnelltest getestet werden. Er ist nicht hoch empfindlich, zeigt 84% der tatsächlich Infizierten an, identifiziert aber innerhalb von 20 Minuten genau jene, die sehr gefährlich sehr viele Viren streuen. Die müssen dann auf einen Schlag krankgeschrieben werden und in Quarantäne, für die Hausärzte eine Riesenbelastung. Das Problem stellt sich auch vorher: Wie organisieren Gesundheitswesen und Zivilschutz genügend Stellen für Tests und Datenverarbeitung?
Und noch vorher: Kommen die einzelnen Menschen überhaupt freiwillig? Haben sie Angst, sich genau dort anzustecken, wo Hunderte andere auch anstehen? Ist ihnen der Abstrich so unangenehm – es ist ein Berühren des Rachens und ein Streifen tief in die Nase – dass sie ihn vermeiden wollen? Denkt die Mehrheit so wie häufig bei Freiwilligkeit? Ich bin gern Freiwilliger, aber am liebsten der letzte. Lassen wir doch die anderen vor. Wenn wir ohnehin nur 2/3 der Bevölkerung brauchen, geht’s vielleicht ohne mich auch.
Anderseits ist Südtirol auch ein Land der Freiwilligenverbände. Chöre und Musikkapellen, Weißes und Rotes Kreuz, Feuerwehr und Bergrettung, überall ist Nachbarschaftshilfe lebendig organisiert. Jetzt muss sich weisen, ob auch mitreißend, solidarisch, transparent und vorbeugend. Wir sind alle aufgerufen. Es ist wie eine politische Wahl, mit dem Tod als einer Wahlmöglichkeit.
Wie wird also Weihnachten sein?
Nehmen wir an, es lassen sich tatsächlich 84% von 2/3 aller infektiösen Menschen ausfindig machen. Gesetzt, alle Betroffenen gingen in Quarantäne. Wir hätten nach 3 Wochen eine Reduktion der Infektionen auf 1/3 des aktuellen Standes. Wir sänken dann auf einen Infektionsstand zwischen Trient (aktuell 1/4 unserer Infektionszahlen) und der Lombardei (1/2 unserer Zahlen).
Wir wären dennoch gut beraten, Weihnachten in möglichst kleinem Kreis, ein bisschen einsam, zu feiern.
Selbst wenn alle, wirklich alle sich testen lassen. Dann würden nur 16 Prozent der Träger nicht erkannt, und die wenigen Infektionsketten könnten wieder zurückverfolgt werden. Wir könnten beginnen, von Taiwan zu lernen.
Roger Pycha, Sabine Cagol, Francesca March, PR-Beauftragte des Hilfsnetzwerks PSYHELP Covid 19