Raika Lana

Südtirol trägt XXXL

by Radio Sonnenschein

Foto Georg Hofer_Thirt am Domplatz Brixenoew und Südtiroler Weltläden machen südtirolweit mit übergroßen T-Shirts auf Missstände in der weltweiten Kleiderproduktion aufmerksam 

Insgesamt 80 Riesen-T-Shirts hängen seit heute in 35 Südtiroler Gemeinden an Lichtmasten und Fahnenstangen. Auf den Etiketten sind Geschichten von Menschen abgedruckt, die sich so oder ähnlich täglich in der Kleiderproduktion abspielen: Sie erzählen von arbeitenden Kindern, von mit Pestiziden vergifteten Vätern und unterbezahlten Müttern. Die oew-Organisation für Eine solidarische Welt und das Netzwerk der Südtiroler Weltläden machen damit auf Missstände in der weltweiten Kleiderproduktion aufmerksam. Die Aktionswoche geht dem 24. April voraus, der weltweit als Fashion-Revolution-Day begangen wird. Am kommenden Sonntag jährt sich zum dritten Mal der Tag, an dem die Kleiderfabrik Rana Plaza in Bangladesch eingestürzt ist: Mehr als 1.100 Menschen starben damals, es ist das bisher größte Unglück in der Geschichte der weltweiten Kleiderproduktion. oew und Weltläden weisen mit einer interaktiven Landkarte unter www.oew.org auf Alternativen zum herkömmlichen Kleiderkauf hin.

„Labels erzählen nicht die ganze Geschichte!“, schreiben oew und Südtiroler Weltläden auf 80 Riesen-T-Shirts, die ab heute südtirolweit an viel begangenen Plätzen und Brücken aushängen. So wollen die beiden Organisationen auf die Missstände in der Kleiderproduktion hinweisen. Kurze Geschichten auf den Etiketten erzählen von Menschen, die bei der Kleiderproduktion – vor allem in Asien – ausgebeutet werden. Da heißt es zum Beispiel: „Ich heiße Behnly. Ich habe dieses T-Shirt genäht. Ich bin neun Jahre alt. Ich stehe jeden Morgen um 5 Uhr auf. Es ist dunkel, wenn ich in der Fabrik ankomme. Ich arbeite 13 Stunden. Es ist dunkel, wenn ich wieder nach Hause gehe. Ich verdiene weniger als 1 Euro am Tag.“

Am 24. April 2013 starben beim Unglück in der Textilfabrik von Rana Plaza in Bangladesch mehr als 1.100 Menschen, über 2.500 wurden schwer verletzt. Das Gemäuer hatte Risse aufgetan, deshalb verbot die Polizei am 23. April den Zutritt. Dennoch waren einen Tag später, als die sechsstöckige Halle zusammenbrach, mehr als 3.000 Textilarbeiter*innen im Gebäude. Sie arbeiteten für einen Durchschnittslohn von 28 Euro monatlich. Die Gebäudesicherheit in Bangladesch sei dennoch bis heute nicht gewährleistet, sagt Verena Gschnell, Bildungsreferentin der oew. Der Komplex von Rana Plaza sei nur für zwei Stockwerke kollaudiert gewesen. „Fabrikhallen werden bis heute nur unzureichend kontrolliert“, erklärt Gschnell, weitere Unfälle seien vorprogrammiert.

Beim Nähen verlagert sich das Geschäft derzeit von China nach Bangladesch, obwohl China in absoluten Zahlen immer noch am meisten Kleidung produziert. In China steigen jedoch die Löhne, in Bangladesch entstehen immer mehr illegale Hallen. Der durchschnittliche Lohn einer Näherin in Bangladesch beträgt heute 50 Euro monatlich, mehr als zur Zeit des Unglücks von Rana Plaza. Und doch sind das nur 19 Prozent des Existenzlohnes des Landes: Er liegt bei 259 Euro. Brigitte Gritsch vom Netzwerk der Südtiroler Weltläden erklärt: „Weil die Löhne so niedrig und die Preise seitens der europäischen Importeure so gedrückt werden, kommen in der Textilproduktion vielfach Kinder zum Einsatz.“

Foto Georg Hofer_Tshirt uebergroßTrotz eines Arbeitstages von zwölf bis vierzehn Stunden erhalten die Näher*innen nur einen Bruchteil des europäischen Verkaufspreises: Nicht einmal ein Prozent bleibt ihnen. Arbeiten die Menschen zu langsam, wird ihnen von einem Tag auf den anderen gekündigt. Der Lieferdruck ist enorm: Wer nicht rechtzeitig liefert, verliert den Auftrag. Das kann schnell den Ruin der Fabrik bedeuten. Also werden die Arbeiter*innen angehalten weiterzuarbeiten: häufig ohne Lohn.

Doch nicht nur beim Nähen, dem letzten Schritt in der Kleiderproduktion, läuft vieles schief: Bereits beim Baumwollanbau, der weltweit insgesamt der Fläche Italiens entspricht, können Arbeiter*innen von ihrem Gehalt kaum leben. In der Baumwollproduktion werden ein Viertel der weltweit gehandelten Insektizide und elf Prozent der Pestizide eingesetzt, mehr als für jede andere Pflanze der Welt. Verena Gschnell von der oew erklärt: „Der weltweite Anbau von Baumwolle verbraucht gleich viel Wasser wie alle Privathaushalte der Erde zusammen.“

Auch die Farben der Stoffe verlangen ihr Tribut: Gefärbt wird in Ländern, wo Gesundheits- und Umweltauflagen niedrig sind, zum Beispiel in China und Tunesien. Brigitte Gritsch von den Südtiroler Weltläden erklärt: „Zwei Drittel der chinesischen Flüsse und Seen sind verschmutzt. Giftstoffe aus Fabriken werden oft ungeklärt abgeleitet und sind später in Trinkwasser und Essen zu finden.“ Diese Schadstoffe seien bei Tier und Mensch immer häufiger nachweisbar. Millionen Menschen beziehen ihr Trinkwasser aus den so verschmutzten Flüssen, fischen daraus und nutzen es für die Landwirtschaft. Die chemischen Substanzen in den Farbmischungen provozieren Krebs und bringen das menschliche Hormonsystem durcheinander.

oew und Weltläden weisen auf Alternativen hin, die auch in Südtirol immer stärkere Beachtung finden. Verena Gschnell und Brigitte Gritsch haben sich im ganzen Land erkundigt: Es gibt eine Reihe von Secondhandläden, Läden mit fair gehandelter Mode und Kleidungsstücke, die aus lokalen Kreisläufen stammen. Gschnell ist überzeugt: „Südtirol bewegt sich in eine fairere Richtung, auch wenn es sich derzeit noch um eine Nische handelt.“ Die oew will diese Alternativen der gesamten Bevölkerung zugänglich machen und hat eine interaktive Landkarte entwickelt. Sie ist unter www.oew.org aufrufbar.

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Creative Handicrafts in Westindien: ein Beispiel für fair gehandelte Kleider

Bei all den negativen Nachrichten ist es Brigitte Gritsch von den Südtiroler Weltläden ein Anliegen, auch ein positives Beispiel zu erzählen: „Die Geschichte von Mahadevi geht gut aus“, sagt sie. Brigitte Gritsch war vor zwei Jahren bei der Fair Trade Organisation „Creative Handicrafts“ in Mumbai, in der Hauptstadt des Bundesstaates Maharashtra in Westindien, der wichtigsten Hafenstadt des Subkontinents. „Benachteiligte Frauen haben in den Slums von Mumbai die Möglichkeit, sich die Arbeit selbst einzuteilen. Sie können von Zuhause aus nähen und liefern die Ware termingerecht an Creative Handicrafts.“ Diese Genossenschaft zahlt faire Löhne und sichert ihren Arbeitsplatz. Es geht also auch anders. „Die Käufer*innen entscheiden sich bei jedem Einkauf neu“, sagt Gritsch: „für faire Löhne oder für Ausbeutung“.

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Das Amt für Kabinettsangelegenheiten finanziert die Aktionen rund um Fashion Revolution in Südtirol.

 

 

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