Raika Lana

„Das andere Südtirol“: Caritas-Wirkungsbericht 2015

by Radio Sonnenschein

Das andere Suedtirol_ Caritas-Wirkungsbericht 2015 - Caritas Dioezese Bozen-Brixen - SuedtirolDie Flüchtlingskrise war für die Südtiroler Caritas eine der größten Herausforderungen im vergangenen Jahr. Mit der Inbetriebnahme von sieben neuen Flüchtlingshäusern (zusätzlich zu den drei bestehenden) und einem vermehrten Beratungs- und Betreuungsangebot hat sie diese gut gemeistert. Gleichzeitig führten auch die 30 anderen Dienste der Caritas ihre Tätigkeit weiter fort. Bedeutend mehr zu tun gab es dabei in den Essensausgabestellen sowie in den Einrichtungen für wohnungslose und suchtkranke Menschen. Das geht aus dem Wirkungsbericht 2015 hervor, den die Caritas im Rahmen einer Pressekonferenz unter dem Titel „Das andere Südtirol“ im Haus Freinademetz in Haslach vorgestellt hat.

„Das Jahr 2015 stand ohne Zweifel im Zeichen der europäischen Flüchtlingskrise. Südtirol war davon zwar weit weniger betroffen als unsere nördlichen Nachbarn, dennoch galt es auch hier schnell und gut zu reagieren. Unsere drei Einrichtungen für Flüchtlinge waren dafür bei weitem nicht mehr ausreichend. Innerhalb kürzester Zeit mussten neue Unterkünfte hergerichtet, Mitarbeiter gesucht und Betreuungsangebote erstellt werden. Mittlerweile führen wir im Auftrag des Landes zehn Einrichtungen verteilt auf das ganze Land. Darin beherbergen wir 430 Frauen, Männer und Kinder, begleiten sie beim Asylverfahren, halten Sprachkurse und versuchen, sie durch kleinere Arbeitseinsätze und mit Unterstützung von Freiwilligen in die Gesellschaft zu integrieren“, zog Caritas-Direktor Franz Kripp Bilanz über das abgelaufene Jahr. „Die Flüchtlinge können aber nicht dauerhaft in den Häusern bleiben.“ Deshalb brauche es für sie dringend zusätzliche Wohn- und Arbeitskonzepte.

Trotz dieser wirklich großen Herausforderung haben wir die 30 anderen Dienste, welche die Caritas in Südtirol für Menschen in Not führt, in keiner Weise vernachlässigt. „Denn auch hier gibt es Not, mehr als wir oft meinen. Das ist eben dieses ,andere Südtirol‘“, erklärt Kripp den Titel des jüngsten Wirkungsberichtes der Caritas. „Die Wirtschaftskrise ist zwar beim Abflauen und der Arbeitsmarkt entspannt sich allmählich, das gilt aber leider nicht für alle Teile der Bevölkerung gleich“, bemängelt Caritas-Direktor Paolo Valente. „Dass in Südtirol seit zwölf Jahren mehr als 30.000 Haushalte armutsgefährdet sind, wie die jüngste Einkommensstudie des ASTAT zeigt, und sich an dieser Situation nichts verändert, stimmt bedenklich. Das will heißen, dass wir als Gesellschaft dieses finanzielle und damit auch soziale Ungleichgewicht akzeptieren.“ Dabei würden die Statistiken allein noch gar nicht die ganze Dimension von Armut erfassen. „Finanzielle Unsicherheit zieht auch seelische Nöte nach sich: Der Leistungs- und Erfolgsdruck steigt, ebenso die Zukunfts- und Existenzangst. Die Folge sind Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Vereinsamung und andere psychische Belastungen, welche die Betroffenen langfristig ausgrenzen. Das beobachten wir in den vielen Caritas-Diensten immer wieder“, sagt Valente.

Diese Verhärtung der Armut in der Südtiroler Gesellschaft zeigt sich besonders in den niederschwelligen Einrichtungen der Caritas. „Den größten Anstieg an Bedürftigen haben wir 2015 in einigen Einrichtungen für Wohnungslose und Suchtkranke sowie in unseren Essensausgaben gehabt. Hier geht es wirklich darum, Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen und Duschen zu sichern, und weniger um Beratung“, sagt Danilo Tucconi, verantwortlich eben für diese Bereiche. So wurden in den Essensausgaben (Bozen und Brixen) im vergangenen Jahr 46.500 warme Mahlzeiten ausgegeben, das entspricht einem Zuwachs von 38 Prozent in nur zwei Jahren. In der Obdachloseneinrichtung „Haus der Gastfreundschaft“ in Bozen wurde die höchste Zahl an Beherbergungen (105) der vergangenen zehn Jahre erreicht (Anstieg um 30 Prozent gegenüber 2013) und auch in den Einrichtungen für Suchtkranke (Bozen und Schlanders) ist die Zahl der Besuche und Beratungen in den vergangenen zwei Jahren um 25 Prozent angestiegen (von 12.793 auf 15.988).  „Suchtkranke und Obdachlose stehen oft am Rand der Südtiroler Gesellschaft. Ihr Altersdurchschnitt steigt stetig, sie haben kaum mehr eine Chance auf einen Arbeits- und/oder Wohnplatz, leiden häufig unter schwerwiegenden gesundheitlichen und psychischen Problemen und haben damit wenig Aussicht auf die Rückkehr in ein autonomes Leben“, sagt Tucconi.

Doch es sind nicht nur die „klassischen“ Obdachlosen, Suchtkranken und anderen Randgruppen, die zunehmend Schwierigkeiten haben. „Zu uns kommen auch viele Frauen und Männer, die zwar ein Einkommen haben, damit aber nicht in Würde bis ans Monatsende gelangen. 1.300 Personen und Familien haben sich 2015 an die Schuldnerberatung gewandt, 644 davon waren Neuzugänge. Fast zwei Drittel der neuen betroffenen Haushalte verfügen über ein monatliches Einkommen von weniger als 1.500 Euro, ein Drittel sogar über weniger als 1.000 Euro. Damit müssen sie Miet- und Nebenkosten, Strom- und Gasrechnungen und andere lebensnotwendige Dinge bezahlen. Unerwartete Ausgaben werden da schnell zum Problem“, sagt Petra Priller von der Caritas Schuldnerberatung. „Deshalb sind wir immer mehr bei der Existenzsicherung gefragt, damit die Familien nicht auf der Straße landen oder die Kinder im Winter nicht ohne Heizung und Strom Hausaufgaben machen müssen.“

Aus dem Wirkungsbericht der Caritas geht aber auch Positives hervor. „2015 haben sich wieder zahlreiche Freiwillige bei uns gemeldet und ihre Hilfe angeboten. Allein 100 Frauen und Männer haben sich zur Mithilfe in den Flüchtlingshäusern bereit erklärt. Rund 1.000 Freiwillige arbeiten dauerhaft und regelmäßig in den verschiedenen Diensten mit, dazu kommen noch die vielen freiwilligen Helfer bei der Gebrauchtkleidersammlung und anderen wichtigen Aktionen der Caritas. Insgesamt zählen wir an die 5.000 Menschen, die einen Teil ihrer wertvollen freien Zeit und ihrer Talente dem Dienst am Nächsten widmen. „Ohne sie wären viele unserer Dienste gar nicht möglich.“  Zumal die Herausforderungen für die Caritas auch heuer nicht weniger werden, hofft Valente weiter auf dieses Zeichen menschlicher Solidarität, ohne die eine Gesellschaft um so vieles ärmer wäre.

Unvorstellbar wäre die Hilfe der Caritas aber auch ohne die großzügige finanzielle Unterstützung vonseiten der Südtiroler. 2015 haben 9.938 Spenderinnen und Spender die Arbeit der Caritas mit insgesamt 3,4 Millionen Euro finanziell unterstützt. Davon wurden 900.000 Euro für Not in Südtirol gespendet und 2,5 Millionen Euro für Hilfsprojekte im Ausland. Denn auch das gehört zum Auftrag der Caritas: Für mehr Menschlichkeit und Gerechtigkeit in anderen, viel ärmeren Ländern zu sorgen. „Die Bekämpfung des Hungers und die Existenzsicherung stehen dabei immer im Vordergrund. Dabei ist es uns aber wichtig, die notleidende Bevölkerung nicht nur mit Hilfsgütern zu versorgen, sondern sie darin zu unterstützen, selbständig ihre Zukunft zu meistern“, sagt Caritas-Direktor Franz Kripp. Schwerpunktländer der Südtiroler Caritas waren 2015 Äthiopien, Eritrea, Kenia, Mazedonien, Serbien, Bolivien, Philippinen und Brasilien. Katastrophenhilfe leistete sie im vergangenen Jahr in Nepal und in den Flüchtlingslagern im Grenzgebiet von Jordanien.

Den ausführlichen Wirkungsbericht der über 30 Dienststellen der Caritas samt Bilanz wird, wie jedes Jahr, im Mai auf der Homepage der Caritas veröffentlicht. Er ist dort dann unter www.caritas.bz.it für alle einsehbar.

 

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